Die Vielfalt in den Klassenzimmern ist eine Realität, die sich nicht wegdiskutieren lässt. Als Reaktion darauf wird das Führen, Fördern und Verstehen einer Klasse immer mehr zur Teamarbeit. Weil dazu unterschiedliches Fachwissen gehört, sind es multiprofessionelle Teams. Die Bandbreite reicht von der Fach- zur Heilpädagogik, über die Sozialarbeit bis hin zur Klassenassistenz.
Coachen, führen und vermitteln
Zusammenhalten muss dieses Team die Klassenlehrperson – sie ist der Dreh- und Angelpunkt der Klasse und die erste Anlaufstelle für Eltern. Die Einzelkämpferin von früher ist heute eine Teamleiterin, die nicht mehr nur unterrichtet, sondern vermehrt coacht, führt und vermittelt.
«Alleine geht es schlicht nicht mehr.»
Noch mehr Arbeit also für überlastete Klassenlehrpersonen? Ja und nein. Zwar nimmt der Koordinationsaufwand zu. Aber es gibt auch Vorteile: Damit liessen sich die Arbeitszufriedenheit und die Selbstwirksamkeit erhöhen, sagt Alexandra Pauli von der Pädagogischen Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz. Dies, indem Kompetenzen und Ressourcen in den Teams optimal genutzt werden.
Zusammenarbeit ist an heutigen Schulen eine Notwendigkeit. «Alleine geht es schlicht nicht mehr», sagt Pauli. Sie sieht darin eine Chance. «Im Idealfall ist diese Arbeitsteilung keine Zusatzbelastung, sondern gewinnbringend und verschafft der Lehrperson mehr Luft.»
Heterogenität braucht neue Strukturen
Pauli relativiert zudem das Bild der früheren Einzelkämpferinnen und Einzelkämpfer im Klassenzimmer. Das Verständnis für Zusammenarbeit über die Klasse hinaus sei nicht neu. Neu hingegen sei die grössere Heterogenität an den Schulen. «Die Schulleitungen sind nun gefordert, neue Strukturen zu finden, um den heutigen Ansprüchen an Teilhabe und Integration gerecht zu werden», sagt sie.
Die Voraussetzungen an Schulen für multiprofessionelle Teams sind gut.
Nur mit einer gemeinsam getragenen Verantwortung lasse sich der aktuelle Bildungsauftrag erfüllen. Multiprofessionelle Teams böten ein Modell, um Rollen, Verantwortlichkeiten, Aufgaben, Ziele und Haltung in einer verbindlichen Zusammenarbeit zu definieren. «So erreicht man die nötige Verlässlichkeit und Flexibilität», sagt Pauli. Wie das in der Praxis konkret aussehe, müsse eine Schule im Rahmen eines Entwicklungsprozesses herausfinden. «Das ist Teil der Schulentwicklung und braucht Zeit.»
Davon kann die Wirtschaft lernen
Die Voraussetzungen an Schulen für multiprofessionelle Teams sind gut. Das betont auch Niels Anderegg von der Pädagogischen Hochschule Zürich. Er leitet das Zentrum Management und Leadership. Eigentlich hätten gute Schulen schon immer mit agilen Teams und clever genutzten Kompetenzen funktioniert, sagt er. «Da hat die Schule mehr Erfahrung als die Wirtschaft», ist Anderegg überzeugt. Die Wirtschaft kann also gewissermassen von der Schule lernen.
Auf guten Noten kann sich die Schule jedoch nicht ausruhen. Das Teamdenken an Schulen müsse weiter professionalisieret werden, sagt Anderegg. Er empfiehlt: «Die Kultur, dass verschiedene Leute mit unterschiedlichen Verantwortlichkeiten zusammenarbeiten, müssen wir noch stärker pflegen.»
«Die Kultur, dass verschiedene Leute mit unterschiedlichen Verantwortlichkeiten zusammenarbeiten, müssen wir noch stärker pflegen.»
Wichtig wird diese Kultur beispielsweise an Schulen, die sich in Richtung Tagesschulen mit Betreuungsangeboten entwickeln. Für Lehrpersonen führt dies zu einem Rollenwechsel: «Sie übernehmen mehr Führung, leiten Teams und lassen sich gleichzeitig von Kolleginnen und Kollegen führen.» Aber nicht nur die Klassenlehrperson, sondern auch das Nadelöhr Schulleitung muss gemäss Anderegg entlastet werden: weg von einer hierarchischen Führung hin zu einer agileren Organisation, in der einzelne Fachpersonen eine Führungsrolle wahrnehmen können.
Zufriedener dank Spezialisierung
Individuelle Talente gewinnen im Team an Bedeutung. «Lehrpersonen und andere Mitarbeitende von Schulen haben unterschiedliche Stärken. Multiprofessionelle Teams erlauben uns, diese Ressourcen an Schulen besser zu nutzen», ist Anderegg überzeugt. Jemand sei vielleicht digital affiner, jemand anderes dafür spezialisiert auf Begabungsförderung oder Projektunterricht. So könnten Lehrpersonen im Bereich ihrer Stärken mehr Verantwortung übernehmen.
Lehrerinnen und Lehrer müssen umdenken.
Anderegg sieht in der Spezialisierung noch einen weiteren Vorteil. Ähnlich wie Alexandra Pauli geht er davon aus, dass sie zu einer höheren Zufriedenheit führt.
Teams brauchen Ressourcen
Doch scheitert das letztlich nicht an den fehlenden Fachkräften, wie heute schon beklagt wird – etwa im Bereich der Heilpädagogik? Es brauche zunächst eine Investition, um das Modell zu etablieren, gibt Anderegg zu. Aber: «Das Gelingen von multiprofessionellen Teams hängt auch davon ab, ob es gelingt, die vorhandenen Ressourcen gezielter einzusetzen.»
Für die Arbeit in multiprofessionellen Teams müssen die Lehrerinnen und Lehrer umdenken. «In den Köpfen sind noch zu viele Lehrpersonen Einzelkämpfer, die das Gefühl haben, alles selbst meistern zu müssen», sagt Anderegg.